Was du beim Design von Comic-Charakteren beachten solltest

Was du beim Design von Comic-Charakteren beachten solltest

Carlos Nieto zeigt dir, wie man Comic-Charaktere entwirft, angefangen mit der Anatomie bis hin zur Koloration!

 

 

Einleitung

Ich heiße Carlos Nieto und bin ein spanischer Comiczeichner (obwohl meine Aufträge hauptsächlich aus den USA kommen). In diesem Tutorial zeige ich dir, wie ich meine Charaktere erstelle und gestalte. Natürlich kannst du meine Vorgehensweise fürs Charakterdesign nach deinen Vorlieben anpassen. Ich hoffe, du findest es nützlich!

 

Charakterdesign

Um einen Charakter richtig zu gestalten, muss man ihn nicht nur zeichnen, sondern auch seine Persönlichkeit durch Kleidung, Accessoires sowie Gesichts- und Körpersprache vermitteln können. In einigen Projekten, insbesondere bei Auftragsarbeiten, kann es vorkommen, dass der Charakterentwurf noch nicht fertig ist. Versuche in solch einem Fall das Beste aus den gegebenen Informationen herauszuholen, sei es eine Beschreibung des Charakters oder einfach eine Zusammenfassung. Es gibt auch einen wichtigen Unterschied zwischen Charakterentwürfen für Comics und für andere Bereiche wie Animationen oder Videospiele: Da du den Charakter in zahlreichen Panels eines Comics zeichnen musst, solltest du nicht zu viele Details hinzufügen, es sei denn, du willst jedes Mal viel Zeit damit verbringen, den Charakter zu zeichnen.

 

Generell muss der Charakter aus verschiedenen Blickwinkeln gezeichnet werden, wobei Vorder- und Rückansichten die grundlegendsten sind, obwohl dies auch von der Situation abhängt. Wenn der Charakter zum Beispiel nur Jeans und ein T-Shirt als Vorderansicht trägt, muss du ihn nicht zwingend von hinten zeichnen. Dann reicht eine Vorderansicht und ein paar Nahaufnahmen des Gesichts mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken aus, sowie eine andere Ansicht mit dem Charakter, in der er eine für die Story typische Pose einnimmt oder relevante Gegenstände oder Waffen hält. Wenn der Charakter beispielsweise eine Zeitreiseuhr verwendet, musst du nicht nur ihr Design zeichnen, sondern auch, wie der Charakter sie trägt. Und zu guter Letzt ist es wichtig, dass du das Design des Charakters magst, weil du es auf vielen Seiten des Comics zeichnen wirst!

 

Skizze zur Anatomie

Ich beginne den Charakter mit dem Bleistift Tool (Tastaturbefehl: P) zu skizzieren. Ich werde ihn mit meinen benutzerdefinierten Bleistiften zeichnen, aber du kannst beruhigt die Standardeinstellung der CLIP STUDIO PAINT-Bleistifte verwenden. Um Zeit zu sparen, habe ich die Charaktergrundlage schon einmal mit einigen Posen vorbereitet.

 

Der erste Schritt besteht darin, die grundlegende Anatomie zu zeichnen, damit wir Kleidung, Accessoires usw. darauf auftragen können. Wenn du zum Beispiel an einem Science-Fiction-Werk sitzt und der Charakter eine Rüstung trägt, musst du diese über die gezeichnete Ausgangsanatomie legen. Ich sage meinen Schülern immer, dass Zeichnen wie Bauen ist: Baue zunächst das Fundament mittels einer guten Anatomieskizze, kleide dann den Charakter ein und füge schließlich die Details hinzu. Wenn der ganze Körper des Charakters mit Kleidung bedeckt sein soll, ist es nicht notwendig, die Anatomie perfekt hinzubekommen. Es reicht aus, die richtigen Proportionen zu erzielen, damit du Kleidung und Accessoires stimmig anpassen kannst, ohne dich um anatomische Fehler sorgen zu müssen.

 

 

Charakterentwurf

Der nächste Schritt besteht darin, Kleidung und Gesicht zu skizzieren. Dieser Charakter wird durch verschiedene Epochen der Geschichte reisen und in jeder Epoche die Rüstung der Zeit tragen. Das bedeutet, dass seine Anatomie verborgen bleibt und nur sein Gesicht und sein Hals sichtbar sind. Um Rüstungen richtig zu zeichnen, ist es unumgänglich, Referenzbilder zu recherchieren. Bevor ich mit dem Skizzieren der Rüstung beginne, reduziere ich die Deckkraft der Anatomieebene in der Ebenenpalette auf etwa 30, um sie dezent auszublenden. Dann erstelle ich eine neue Ebene und skizziere die Rüstung darüber, während ich dabei die Referenzbilder mir anschaue.

 

 

Saubere Lineart und Schattierung

Jetzt ist es an der Zeit, den Charakter zu konkretisieren und die letzten Details zu bestimmen, um die endgültige Linien sattelfest zu machen. Beginnen wir mit der Frontalansicht. Hier reduziere ich auch die Deckkraft der Kleidungsskizze auf 30 und drehe die Leinwand mit dem Drehen Sub-Tool (Tastaturbefehl: R), um beim Zeichnen eine bequemere Position einnehmen zu können.

 

Wenn du einen Teil der Zeichnung verschieben musst, wähle ihn mit dem aus Auswahl Tool > Lasso Sub-Tool zum Verschieben aus. Ich möchte den Griff des Katana verschieben, also kopiere ich ihn, füge ihn in eine andere Ebene ein und verschiebe ihn.

 

 

Probiere verschiedene Design-Variationen aus. Damit findest du heraus, was dir schwer fällt zu zeichnen. So kannst du deine Schwachstellen identifizieren und verbessern.

Der skizzierte Kopf sieht für mich ziemlich gut aus, also kopiere ich ihn aus dem Skizzenordner, füge ihn in den sauberen Lineart-Ordner ein und erstelle hier eine neue Ebene, um mich ihm mehr zu widmen.

 

Wenn du deine Linienzeichnung fertig hast, bringe Schattierungen in das Design ein und gleiche die Lichter und Schatten an, um dem Charakter Tiefe zu verleihen. Vergiss nicht, Objekten wie der Metallrüstung und dem Schild Highlights hinzuzufügen, damit sie realistischer wirken.

 

 

Diese Ansicht ist fertig! Kopiere anschließend die Posen-Ebenen und füge alle in einem neuen Ordner ein, um sie sortiert aufzubewahren. Auf diese Weise kannst du die endgültige Pose einfach mit deinen Skizzen vergleichen, indem du das Augensymbol auf der linken Seite des Ebenenordners aus- und einschaltest.

 

 

Gehen wir zur zweiten Ansicht über, diesmal von hinten. Ich glaube nicht, dass der Kopf, den ich skizziert habe, geändert werden muss. Deshalb kopiere ich ihn aus dem Skizzenordner und füge ihn wie in bei Vorderansicht in den Ordner der Lineart ein. Dann blende ich die Vorderansicht aus, indem ich auf das Augensymbol klicke, um das Katana zu zeichnen. Sobald ich die Linien fertig habe, füge ich dem Charakter Schatten hinzu. Im Bild unten siehst du beide Ansichten mit abgeschlossener Linienzeichnung und Schattierung.

 

 

In einem Comic wird es sicherlich auch Nahaufnahmen geben. Deshalb ist es notwendig, die Seiten- und Vorderansicht deines Charakters detaillierter zu zeichnen, um ein besseres Verständnis seiner Gesichtsausdrücke zu erhalten.

 

 

Der Charakter hat einen Helm in seinem Rucksack, falls er zusätzlichen Schutz benötigt, daher werde ich dieses Detail auch in das Design einbeziehen sowie eine Skizze seines römischen Schildes.

 

 

Dies ist das endgültige Design. Für die Ganzkörperansicht von hinten habe ich den Rucksack so versteckt, dass die gesamte Rüstung sichtbar ist, obwohl ich die Rucksackgurte in die Ganzkörperansicht von vorne eingebaut habe.

 

Koloration

Zuerst brauchen wir unsere Farbpalette auf unserer Leinwand. Die ausgewählten Farben sollten neutral und gedeckt sein, damit die Arbeit des Koloristen (oder deine eigene, wenn du dich entscheidest, selbst zu kolorieren) leichter wird. Verwende nur flache Farben, damit sie später leicht geändert werden können, wenn eine Farbe nicht gut funktionieren sollte.

 

 

Sobald die Palette fertig ist, wähle ich das Pipette Tool und die Farben aus der Palette aus, die ich verwenden möchte. Anschließend umkreise ich mit dem Lasso Sub-Tool den Bereich, den ich kolorieren möchte. Zum Schluss wechsle ich zum Fläche füllen Tool, um den Bereich mit Farbe zu füllen. Unten kannst du dir die Schritte als GIF ansehen.

 

 

Du kannst die Auswahl reduzieren, indem du unnötige Bereiche mit dem Lasso entfernst, während du die Alt-Taste gedrückt hältst.

 

 

Wiederhole den Vorgang, um die gesamte Zeichnung zu malen. Falls es nötig ist, deiner Palette weitere Farben hinzuzufügen, wähle die Farbe in der Palette aus dem Farbrad aus und füge sie deiner Palette hinzu.

 

 

Wenn du eine Farbe in der Palette ändern möchtest, erstelle eine Auswahl mit dem Automatische Auswahl Tool (der Zauberstab) und wähle eine andere Farbe im Farbkreis aus, um sie in die Auswahl hineinzufüllen.

 

 

Sobald du die flachen Farben hast, kannst du die Farbpalettenebene ausblenden und alle flachen Farb-Ebenen zusammenlegen. Wenn du zusätzliche Details oder Effekte hinzufügen möchtest, tu dies auf dieser neuen, kombinierten Ebene.

 

 

Schau dir zum Schluss das Design noch einmal an. In meinem Fall habe ich festgestellt, dass das Blau der Rüstung extrem flach wirkt, daher habe ich mit dem Automatische Auswahl Tool eine Auswahl aller blauen Teile erstellt und sie in einen helleren Blauton geändert. Und dann war es das schon – das Charakterdesign ist fertig!

 

 

Persönlichkeit durch Design vermitteln

Der nächste Schritt besteht darin, sich zu fragen, ob dein Design die Persönlichkeit des Charakters vermittelt. Zögere nicht, es zu bearbeiten, wenn du feststellst, dass es die Persönlichkeit nicht vollständig widerspiegelt oder die Geschichte des Comics nicht richtig darstellt. Du kannst das Design durch Anmerkungen ergänzen, die beispielsweise beschreiben, wofür jede Waffe oder jeder Gegenstand verwendet werden soll.

 

Stelle dir auch Fragen wie: „Ist es machbar, diesen Charakter auf mehreren Seiten zu zeichnen, oder dauert es zu lange?“ Mit anderen Worten: Vermeide es, den Charakter mit zu vielen Details zu überladen. Ich weiß, es klingt verlockend, das Schwert mit Motiven oder die Rüstung mit drachenförmigen Gravuren zu verzieren, aber all das würde viel Zeit in Anspruch nehmen – Zeit, die besser für das Zeichnen anderer Charaktere oder der Hintergründe verbracht werden sollte. Unser Charakter hat ziemlich viele Details, aber wir können in den Comicseiten Elemente wie die Gelenke der Rüstung vereinfachen.

 

So sieht das endgültige Design aus:

 

 

Bevor ich dieses Tutorial beende, möchte ich dir noch andere Beispiele für Charakterdesigns zeigen.

 

Für dieses Design wurde ich gebeten, es nur zu tuschen, daher musste ich es an einen Koloristen weiterleiten, der es anschließend koloriert hat.

 

 

Das nächste Beispiel zeigt die Hauptfigur eines Science-Fiction-Comics. Wie du siehst, ist dieses Design viel minimalistischer gehalten, als das in diesem Tutorial. Habe also keine Angst, auch deine Designs zu vereinfachen. Der Charakter trägt einen Umhang, ein Gewehr, ein Pistolenhalfter und einen hautengen Anzug mit verschiedenen Farben, die verschiedene Anzugsmerkmale darstellen. Diese Art von Designs mit weniger Details eignet sich eher für Action-Comics, bei denen das gesamte Comic-Design wichtiger ist als das Design der einzelnen Charaktere.

 

 

Schließlich haben wir hier einen Bösewicht, dessen Design perfekt in die vorherige Charaktergeschichte passen könnte. Dieser ist noch spärlicher mit Details ausgestattet und trägt nur eine Jacke, ein Pistolenhalfter und einige charakteristische Gesichtszüge.

 

 

Schlusswort

Vielen Dank, dass du das Tutorial bis hierher gelesen hast! Falls du gerade erst am Beginn vom Comic- oder Charakterdesign stehst, hoffe ich, dass du etwas Neues und Nützliches lernen konntest. Wenn du mehr von meinen Arbeiten sehen möchtest, kannst du dich auf meiner Website und meinen Social Media-Seiten umschauen.